Experten erwarten Bereinigung des deutschen Strommarktes - Eon, VW und vielleicht Tesla: Der Strommarkt ordnet sich neu

 

Den gleichen Fehler wie ihre Kollegen aus der Autobranche wollen Energiemanager in Deutschland ganz sicher nicht machen. Jahrelang hatten VW, BMW und Daimler US-Konkurrent Tesla unterschätzt – und müssen nun dem Elektroautopionier mühsam hinterherhecheln. Umso mehr sind Stromanbieter in Deutschland seit Wochen von den möglichen Ambitionen des US-Unternehmens in ihrem Beritt alarmiert. Dabei gibt es bislang noch gar keine konkreten Ankündigungen. Nur eine Onlineumfrage unter ausgewählten Kunden. Per E-Mail hatte Tesla schlicht gefragt, ob die Kunden neben dem Elektroauto und den dazu angebotenen Solaranlagen und Heimspeichern auch Interesse an einem „speziell entwickelten Tesla Stromtarif“ hätten: „Wenn Tesla Ihnen heute ein komplettes ,Energiepaket‘ anbieten könnte (einschließlich Photovoltaikanlage, Heimspeicher, Lademöglichkeit für Ihr Elektroauto und 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung), würden Sie gerne mehr erfahren?“

Das Unternehmen selbst hält sich zu seinen Ambitionen bislang bedeckt. Aber schon die Überlegungen treffen den Strommarkt in einer ohnehin bewegten Zeit. Unter den überregionalen Stromanbietern ist eine Konsolidierungswelle angelaufen. Kleine Anbieter werden verdrängt. Größere unabhängige Anbieter versuchen auf die nötige Schlagkraft zu kommen.

Mit der Übernahme von Innogy durch Eon ist schließlich ein dominanter Marktteilnehmer entstanden – und neue Konkurrenten stehen bereit. Europäische Stromkonzerne sondieren die Vertriebschancen in Deutschland. Und selbst die Autokonzerne loten ihre Möglichkeiten aus – wie VW oder eben auch Tesla.

„Der Markt wird sich bereinigen“, ist Josef Thomas Sepp, Sprecher der Geschäftsführung von Lekker Energie, überzeugt: „Das sehe ich an den Portfolios, die uns angeboten werden. Kleine Anbieter werden vom Markt verschwinden.“ „Ob die kritische Größe bei 50.000 oder 100.000 Kunden liegt, ist schwer zu sagen, aber es braucht eine kritische Größe“, sagt Lekker-Energie-Geschäftsführer Sepp: „Wer zu klein ist, hat keine Chance.“

Übernahmen von kleinen Unternehmen hat es in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig gegeben. Zuletzt übernahm unter anderem die deutsche Tochter des Schweizer Stromunternehmens EBL die Geschäftsanteile der BayWa Ökoenergie GmbH, mit der der bayerische Mischkonzern versucht hatte, im Markt für Ökostrom anzugreifen. Im März hatte sich der Ökostromanbieter Lichtblick die 260.000 Heizstromkunden einverleibt, von denen sich Eon im Zuge der Innogy-Übernahme trennen musste.

 

Die Pleiten von Teldafax, Flexstrom und BEV haben den Strommarkt geschockt

Auch Klaus Kreutzer, der mit seinem Unternehmen Kreutzer Consulting den Markt seit Jahren aufmerksam verfolgt, rechnet mit einer tief gehenden Bereinigung: „Es gibt noch viele kleine Anbieter, die allein keine Chancen haben werden“, sagt der Energieexperte: „Größe ist in dem Geschäft entscheidend.“ Mit 20.000, 30.000 oder auch 50.000 Kunden werde es schwer werden zu bestehen. „Ab 80.000 Kunden fängt es an, interessant zu werden“, sagt Kreutzer: „Aber langfristig wird man wohl eine Kundenbasis von 500.000 Kunden brauchen, um erfolgreich zu sein.“ Die Rechnung ist nach Kreutzers Worten simpel: Je größer das Unternehmen, desto besser lassen sich die Kosten für die dahinterstehende Organisation tragen. „Große Unternehmen haben einfach einen längeren Atem, um im Preiskampf durchzuhalten.“

Und der wird auf dem deutschen Energiemarkt traditionell mit sehr harten Bandagen geführt. Mit dem Aufstieg der Internetvergleichsportale wie Verivox oder Check 24 entwickelte sich ein harter, zum Teil ruinöser Preiskampf. Billiganbieter wie Teldafax oder Flexstrom sammelten mit zu hohen Bonuszahlungen immer neue Kunden ein – und brachen zusammen.

Die Pleiten von Teldafax, Flexstrom oder Care Energy ließen Hunderttausende geprellte Kunden zurück. Noch im vergangenen Jahr musste die Bayerische Energieversorgungsgesellschaft mbH (BEV) des dubiosen Unternehmensgründers Boris Wehlauer mit gut 300.000 Kunden Insolvenz anmelden – mit einem Schaden für die Gläubiger von rund 180 Millionen EUR. Regelmäßig verärgerten schwarze Schafe Kunden und Verbraucherschützer mit Tricksereien: Zugesagte Boni wurden nicht ausbezahlt, fristgerechte Kündigungen ignoriert.

Die Stromkunden müssen zwar immer höhere Stromrechnungen bezahlen, der Wettbewerb wird aber nur um einen sehr kleinen Anteil ausgetragen. Mehr als 80 Prozent des Strompreises entfallen auf Umlagen, Steuern und die Netzentgelte für die Durchleitung des Stroms. Vom Rest muss der Versorger noch den Strom im Großhandel einkaufen, Vertriebs- und Verwaltungskosten tragen. Bei einem günstigen Tarif für eine durchschnittliche Familie mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden im Jahr von vielleicht 1100 Euro bleiben am Ende, wenn es gut läuft, nur 50 Euro. Bei den hohen Boni, die im Wettstreit um neue Kunden bezahlt werden, ist das erste Jahr immer ein Verlustgeschäft, und es ist schwierig, die Kosten überhaupt wieder einzuspielen.

„Man braucht drei bis vier Jahre, bis man mit einem neuen Kunden Geld verdient“, erklärt Lekker-Energie-Geschäftsführer Sepp. Sein Unternehmen hat sich selbst lange zu sehr am Preiskampf beteiligt. 2012 hatte das Unternehmen, das vom niederländischen Energieversorger Nuon in Deutschland gegründet worden war, noch einen Fehlbetrag beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von zehn Millionen Euro ausgewiesen. Nach der Übernahme durch die Stadtwerke Krefeld 2013 hat Sepp zusammen mit Michael Veit, dem Geschäftsführer Vertrieb, das Unternehmen aber nachhaltig profitabel gemacht. Im vergangenen Jahr verbuchte Lekker-Energie mit 280 Millionen Euro Umsatz ein positives Ebit von sieben Millionen Euro.

Die beiden haben dabei ein klares Mantra: „Wir sind sehr kostenbewusst“, erläutert Sepp. Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern hat sich Lekker Energie entschieden, IT, Kundenservice, Vertrieb und insbesondere Bestandskundenmanagement im eigenen Haus zu machen, für den Wettbewerb dagegen nicht entscheidende Bereiche in die Cloud-Dienste von Amazon auszugliedern. Das reduziert Kosten und ermöglicht dem Unternehmen, die Kunden langfristig zu betreuen. „Die Kunden bleiben länger bei uns als bei vielen Wettbewerbern“, ist Sepp überzeugt – auf jeden Fall im Schnitt länger als die nötigen drei bis vier Jahre.

 

Fusion von Eon und Innogy hat den Energiemarkt verändert

„Mit der Digitalisierung der Prozesse und der Standardisierung lassen sich die Kosten drücken“, sagt Andreas Stender, Energieexperte von A.T. Kearney: „Große Spieler können das natürlich leichter und profitieren von Skaleneffekten.“ Kleine Spieler werden da nach seinen Worten auf Dauer nicht mithalten, wenn sie keine Nische finden.

Die größte Fusion auf dem Strommarkt hat es schon im vergangenen Jahr gegeben – und sie wird nach Einschätzung von Experten und Wettbewerbern eine weitere Konsolidierung nach sich ziehen: Mit der Übernahme von Innogy durch Eon ist eine klare Nummer eins auf dem deutschen Energiemarkt entstanden. Mit 14 Millionen Kunden in Deutschland – von insgesamt rund 40 Millionen – liegt Eon deutlich vor den anderen großen Konzernen EnBW und Vattenfall mit jeweils unter fünf Millionen Kunden, und natürlich den großen Regionalversorgern und den bundesweiten Anbietern wie Lekker Energie oder Lichtblick.
Neben der eigenen Marke Eon und den Regionalgesellschaften hat Eon selbst zwei überregional tätige Billigenergieanbieter: Die eigene Marke E Wie Einfach mit rund einer halben Million Kunden und das Unternehmen Eprimo mit 1,6 Millionen Kunden, das mit Innogy in den Konzern gekommen ist.

Die Übernahme von Innogy durch Eon habe den Markt schon sehr verändert, sagt Berater Kreutzer. Mit 14 Millionen Kunden habe Eon viel mehr Möglichkeiten. Lekker-Energie-Geschäftsführer Sepp wird deutlicher: „Mit der Fusion von Eon und Innogy ist der Wettbewerbsdruck noch deutlich gestiegen“, sagt der Energiemanager: „Es gibt jetzt einen beherrschenden Spieler mit einer enormen Marktmacht.“

Lekker Energie hatte sich wie andere Unternehmen gegen die Fusion gewehrt und harte Auflagen gefordert. Tatsächlich genehmigte die EU-Kommission die Übernahme aber unter moderaten Auflagen. In Deutschland musste Eon vor allem die Heizstromkunden abgeben, die Lichtblick übernahm. „Die Auflagen für die Übernahme von Innogy waren eher homöopathisch“, sagt Sepp. Aktuell habe sich zwar noch nicht viel getan. Noch seien Eon und Innogy mit sich selbst beschäftigt und müssten die Fusion noch verdauen: „Aber das wird sich schon schnell ändern.“ All die Themen, die Sepp mit Lekker Energie verfolgt, die Digitalisierung, kann Eon mit seiner schieren Größe noch mit ungleich größeren Skaleneffekten erreichen.

 

Stromkonzerne sollten VW und Tesla ernst nehmen

Eon selbst weist die Vorbehalte wie schon während des Genehmigungsprozesses zurück. „Der Kunde hat die freie Auswahl aus – je nach Region – Hunderten von Anbietern. Das zeigt: Der Markt ist sehr lebendig und funktioniert“, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Eon begrüße grundsätzlich auch neue Anbieter im Energiemarkt und einen fairen Wettbewerb im Sinne der Kunden.

Die neuen Wettbewerber stehen nach Einschätzung von Experten tatsächlich auch bereit. Genau wie Eon mit seinen 50 Millionen Kunden europaweit sich eine Vertriebsplattform für neue Produkte und Dienstleistungen geschaffen hat, könnten auch andere große Energieversorger aus Europa verstärkt auf dem deutschen Markt angreifen.

Oder eben ganz neue Wettbewerber wie die Autokonzerne. Volkswagen hat im Rahmen seiner Elektromobilitätsinitiative schon den Markteintritt gewagt. Ende 2019 gründete das Unternehmen eine eigene Tochtergesellschaft für Energie-Angebote und Ladelösungen und führte die Marke Elli (Electric life) ein. Die Käufer von Elektroautos sollen bei Volkswagen künftig auch direkt die Lösungen zum Laden und den grünen Strom mit einkaufen.

Ein ähnliches Angebot ist von Tesla denkbar. Solaranlagen und Stromspeicher hat das Unternehmen schließlich schon im Portfolio. „Die Autohersteller könnten den Markt schon aufmischen“, ist Berater Kreutzer überzeugt. Wenn die neben Elektroautos auch Wartung, Wallboxen und Strom aus einer Hand anböten, sei das schon interessant. „Für VW, aber auch für Tesla ist das ein reizvolles Gesamtpaket“, sagt Kreutzer – und für die bisherigen Stromanbieter eine Gefahr: „Das sind schon große Player mit einer enormen Marktmacht und einem guten Kundenzugang.“

Quelle: Jürgen Flauger/ Handelsblatt